Leseprobe HORSEMAN 01/2023
… lernt Hans nimmer mehr!“ Dieser Tatsache bewusst, schickt man die eigenen Kinder schon als kleines Hänschen in den Kindergarten, danach in die Grundschule, dann ins Gymnasium und später auf die Uni zum studieren. Ein vorgegebener Weg, der sinnig, ja normal erscheint. Natürlich sollte dieser Weg immer kindgerecht und möglichst stressfrei sein. Angestrebt ist dabei, das Beste aus Hänschen herauszuholen, ihn zu fördern und als perfekten Hans irgendwann in die weite Welt loszulassen. Doch wie sieht es bei Pferden aus? Wo fängt der Kindergarten an und wann geht ist in die Uni? Frage, die sich vor allem mit Blick auf ein- bis zweijährige junge Wilde stellen.
Alles beginnt mit den zwei wohl üblichsten Wegen, die sich zu Beginn kaum unterscheiden. Viele Pferde bekommen als Fohlen (meist in der zweiten Jahreshälfte) noch ein wenig Kindergarten, sprich das Fohlen ABC, vermittelt – danach aber oft lange nichts mehr. Ein wenig Hufe geben, mal anbinden und von A nach B führen muss reichen. Als Absetzer heißt es dann, ab in die Fohlenherde, ab und zu zum allgemeinen Handling die o.g. Lektionen abrufen, bis es ins richtige Training zum Anreiten geht.
Vergleicht man es wieder mit Hänschen, ist das in etwa so, als würde man einen sechsjährigen Jungen aus dem Kindergarten (Fohlen ABC) herausnehmen, ihn bis er zehn Jahre alt wird antiautoritär erziehen (also eigentlich gar nicht!), um ihn erst auf die Schule zu schicken. Das Ergebnis wird sein, dass das Pferd verpasst hat, Lernen zu lernen. Darüber hinaus sind solche Pferde oft mental und körperlich so stark geworden, dass sie jegliche Ansage des Menschen zunächst einmal in Frage stellen. Hierbei geht es für das junge Pferd aber nicht um gut und böse, sondern um richtig und falsch. Das liegt einfach in ihrer Natur. Als junge Wilde müssen sie sich in dieser Zeit auch in der Herde beweisen und ihren Rang suchen. Verpasst man diese Zeit, tun sie dies auch in der kleinen Herde Mensch-Pferd. Wird dies aber nicht richtig verstanden, reagieren viele Pferdebesitzer mit zu viel Druck, denn schließlich haben 500 bis 600 kg ganz schön was dagegenzusetzen. Wieder ist das Ergebnis nur Stress und nicht selten wird es auch gefährlich für den Menschen. Genau diese Pferde sind es, die bei Trainern zur Korrektur landen, für die man einen Pferdepsychologen zu Rate zieht oder beschließt, nach dem zigsten Abflug erst einmal für ein Jahr nur noch Horsemanship zu machen. Schnell wird nun klar, der Weg zum Pferd sollte irgendwo dazwischen liegen und um noch einmal den Werdegang von Hänschen zum Vergleich herzunehmen – alle Stufen der Schule und somit des Lernens beinhalten.
Mehr in der aktuellen Ausgabe – im Abo oder als Einzelheft!
Nicht selten beobachte ich in Kursen und im Unterricht, aber auch bei Veranstaltungen, wie Reiter und Horsemen erfolglos versuchen, ihre Pferde ruhig und gelassen zu arbeiten, Aufmerksamkeit zu gewinnen und sie zu sich zu holen. Meist kommt dann noch genau der Spruch: „…der ist gerade etwas aufgeregt, den muss ich erst einmal herunterholen!“ Im Prinzip ist das ja überhaupt nicht verkehrt und die Aussage schließt bereits ein, dass das Pferd gerade auf einem Level angekommen ist, der es dem Menschen nicht mehr zulässt, vernünftig mit diesem zu arbeiten. Dies liegt dann oft auch am vegetativen Nervensystem (siehe Kasten). Ist das Pferd hier bereits im Fluchtmodus wird es sehr schwer es zu beruhigen. Doch gehen wir einmal davon aus, dass unser Pferd einfach mit etwa zu hohem Level unterwegs ist aber eben noch nicht auf der Flucht und im absoluten Stress.
Wie das Pferd nun herunterholen? Viele Reiter versuchen dann den Weg über die Arbeit und die Beschäftigung des Pferdes, was wie die erste Aussage auch erst einmal nicht ganz so verkehrt ist. Doch warum ist das Ganze dann meistens doch nicht ganz so erfolgreich wie erhofft und warum läuft dasselbe Pferd bei der Freiarbeit im Round Pen bei dem einen Menschen kontrolliert in allen Tempi, während ein anderer, nur schnelle und hektische Bewegungen und Galopp oder Stechtrab von seinem Pferd erntet? Und das obwohl er nach außen scheinend die gleiche Bewegungen macht, sozusagen die gleiche Technik anwendet? An der Technik, der Körpersprache liegt es dann ja wohl kaum, sondern eben am eigenen Level – und zwar am Energielevel, der entsprechend auf das Pferd einwirkt.
Um dies zu verstehen, müssen wir uns erst einmal das Grundwesen und die natürlichen Instinkte des Pferdes betrachten, und zunächst diese verstehen. Pferde sind unheimliche Muskelleser und haben feine Sensoren für Energie und Stress. Dies hat sich beim Fluchttier Pferd über die komplette Entwicklung als lebensnotwendig und lebensrettend erwiesen. Zwei Faktoren spielen hierbei eine Rolle: die der eigenen Erkennung von Gefahr bzw. des Raubtieres und zum anderen die des Herdenverhaltens. Wir alle kennen aus Tierfilmen der Serengeti und anderen Gebieten Afrikas die Szenen, in denen eine Zebraherde (ebenfalls Equiden) ruhig und gelassen an einem Rudel Löwen vorbeizieht oder gar in unmittelbarer Nähe grast. Im ersten Moment unfassbar, ist das Raubtier doch in direkter Schlagdistanz. Betrachtet man dabei die Löwen, wird man feststellen, dass diese dösend und faul in der Mittagsonne liegen. Wer schläft, spannt bekanntlich keine Muskeln an und ist vom Energielevel gerade ganz weit unten – sozusagen unter Null. Die Zebras spüren dies und wissen genau, dass in diesem Moment keine Gefahr von dem gefährlichen Raubtier ausgeht. Steigt bei einem Löwen die Muskelspannung und Energie an, ist die Zebraherde in der gleichen Sekunde auf der Flucht und bringt sich in sicherere Distanz.
Im Umkehrfall betrachten wir nun einmal eine Herde Pferde, die sich zur Ruhe abgelegt hat und schläft. Auf unseren heimischen Koppeln kann dies, in Ermangelung von Puma und Wolf, auch mal die ganze Herde sein, in freier Wildbahn wird aber immer ein Wachposten abgestellt werden. Der hat die Aufgabe, sich nach etwaigen Feinden umzuschauen und die Herde gegebenenfalls zu warnen. Wäre nun wirklich Gefahr in Verzug, würde kaum Zeit bleiben, jedes Herdenmitglied einzeln anzustupsen und aus dem Schlaf zu reißen. Hier reichen bereits die angehobene Muskelspannung und der damit angehobene Energielevel, um die komplette Herde aufspringen zu lassen und sich mit Flucht der Gefahr zu entziehen.
Mehr in der aktuellen Ausgabe – im Abo oder als Einzelheft!