Leseprobe HORSEMAN 03/2023
Mehr innere Hand oder mehr äußeres Bein, doch der äußere Zügel, dazu Balance und Reitergewicht – doch selbst heute wird die Schulter oft vernachlässigt. Eigentlich verwunderlich, denn die alten Reitmeister der letzten 400 Jahre beschreiben fast alle eine Reiterei die sehr auf den Sitz und die körperliche Einwirkung des Reiters abzielt. Auch Gustav Steinbrecht (1808 bis 1885; Gymnasium des Pferds) beschreibt den Drehsitz des Reiters, um die Biegung des Pferdes einzuleiten.
Um das zu verstehen, gilt es, die Biomechanik des Pferdes anzuschauen. Der Skelettaufbau des Pferdes lässt im mittleren Bereich (Rippen) keine Biegung in der Lateralen zu. Die vom Reiter geforderte und als Rumpfbiegung gesehen Krümmung bzw. Rundung im Körper kommt von einem nach innen Stellen der Schulter und einer gleichzeitig, ebenfalls nach innen gestellter Kruppe. Diese Biegung ermöglicht eine Dehnung und Gymnastizierung der jeweiligen Außenseite. Soweit so gut, aber was hat das nun mit der Reiterschulter zu tun und was bedeutet Drehsitz? Viele gute Ausbilder nehmen immer wieder gerne einen Satz auf: „Du musst eins werden mit Deinem Pferd!“ Im Umkehrschluss bedeutet dies aber ganz einfach, dass mein Pferd mich und damit meine Körperpartien spiegelt. Bewege ich meine Schultern, wird meine Pferd dies ebenfalls tun, halte ich meine Schultern steif, wird auch beim Pferd eine steife Schulter die Folge sein. Gleiches gilt für die Hüfte. Möchte ich unter dieser Erkenntnis nun ein Abbiegen bzw. gar eine Biegung einleiten, bedeutet das, ich muss die innere Schulter nach hinten in die Bewegungsrichtung drehen und meine Hüfte in Position halten oder gar etwas nach vorne nehmen. Schon hat der Name Drehsitz seinen Sinn.
Dieses Eindrehen der Schulter und damit die Parallele der Pferdschulter bringt aber gleichzeitig noch andere Aspekte mit sich. Aus einer geraden Grundposition heraus wird durch diese Drehbewegung automatisch der innere Sitzbeinhöcker etwas mehr belastet und es kommt zu einem leicht Austreten des inneren Steigbügels. Dieses mehr an Gewicht und Balance nach innen lässt das Pferd unter das Gewicht und damit die angestrebte Richtung treten. Darüber hinaus gehen auch der Reiterfocus und dessen Energie in die neue Richtung. Wie in allen klassischen Reitlehren beschrieben, soll die Reiterschulter parallel zu Pferdeschulter sein. Im Prinzip ist aber eigentlich so, dass die Pferdschulter parallel zu Reiterschulter arbeitet. Damit wird ersichtlich, wie wichtig die Schulter des Reiters tatsächlich ist. Allerdings nicht nur in der lateralen Biegung; was nach rechts oder links gilt, gilt auch für Höhe und Tiefe. Lässt der Reiter die Schultern fallen, hängt dort auch die Pferdeschulter. Einer der Gründe ist auch hier wieder die einhergehende Balance und das Gewicht.
Die Schulter im Manöver/Lektionen
Was bedeutet das für das Training und die Ausführung von Lektionen und Manövern? Nehmen wir eine Hinterhandwende, einen Spin bzw. einen Rollback – egal, ob trocken oder am Rind. Die Aufgabe des Pferdes ist hierbei, auf dem inneren Bein (Pivotbein) Last aufzunehmen, stehen zu bleiben und die Vorhand in die neue Richtung zu drehen. Im Optimalfall hebt es dazu die innere Schulter an und setzt das innere Vorderbein bewusst in die neue Richtung. Hinten Last und vorne leicht – so ist hier das Erfolgsrezept. Nicht selten sieht man aber Pferde, die auf die innere Schulter fallen, kaum mit dem inneren Bein wegkommen, das äußere Bein versucht, den großen Weg außenherum zu nehmen, um den Fluss der Bewegung zu halten. Da hilft dann auch kein Ziehen am inneren Zügel oder vermehrter Sporeneinsatz von außen. Oft wird darauf geachtet, wie das äußere Bein über das innere kreuzt. Schneller, korrekter und für das Pferd einfacher ist es, so zu reiten, dass das innere Bein (gesteuert über die Schulter) nach innen Platz macht, sich eng setzten lässt. Hierzu sollte der Reiter erst einmal seinen Sitz kontrollieren und ggf. verbessern. Schulter (Reiter) anheben, zurücknehmen und den Focus in die neue Richtung kann bereist die Lösung des Problems eines schlechten Turns sein. Wie wichtig die Schulter bei solchen engen Wendungen ist, kann man sehr schön erkennen, wenn man einmal einem guten spanischen Reiter beim Tanz an der Garocha zuschaut.
Wie auf Schienen
Im Prinzip muss man sich vorstellen, die Reiterschultern sind die Schienen, auf denen die Vorderachse des Zuges Pferd läuft. Wer nun denkt, aber Schienen sind doch unten, kann sich auch eine Schwebebahn vorstellen. Nimmt man nun noch die Reiterhüfte und die Balance mit hinzu, merkt man sehr schnell, wo die Reise hingeht und mit dieser Erkenntnis im Gepäck sind gymastizierende Übungen und Lektion wie Schulterherein oder Traversalen um einiges leichter. Galoppzirkel werden einfacher und im Stangenviereck ist drehen keine Kunst mehr – denn: Reiterschulter bewegt und setzt Pferdeschulter.
Praxisübungen
Um das einmal zu spüren, sind nur zwei kleine Praxisübung im Schritt notwendig.
1. kleine Volte
Zunächst reitet man eine kleine Volte wie üblich, meist über die Hand gesteuert. Hierbei werden wohl viele Reiter das Gefühl haben, dass sich das nicht wirklich rund, sondern eher wie ein Achteck anfühlt. Grund hierfür ist das Wegschieben der Hüfte des Pferdes und das nach innen Kippen der Schulter. Dabei setzt trotz der (als Beispiel) Bewegung nach links, das linke Vorderbein weit nach außen über das rechte Vorderbein, das nun bemüht ist (wie oben beim Turn beschrieben) außenherum zu kommen. Wenn man nun die eigene Schulter etwas anhebt (ev. unterstütz durch das Anheben und Abstellen des Elenbogens – sozusagen auf die Uhr schauend), die innere Schulter zurücknimmt und auch den Focus klar in die neue Richtung legt, wird man schnell spüren, wie das Pferd bewusst die innere Schulter anhebt und ebenfalls nach innen setzt. Ist die eigene Hüfte auf Position Innen vor, erzielt man die anfangs erwähnte Biegung und stellt fest, dass der innere Zügel dabei leichter wird. Nach innen reiten, statt nach innen ziehen, ist hier die Devise!
2. Abbiegen vor der Geraden
Zunächst reitet man eine Gerade, an der Bande oder von A nach C. nun nimmt man die innere Schulter bewusst zurück und damit auch den Focus in die neue Richtung. Korrekt ausgeführt, wird das Pferd immer der Schulter folgen und vom Hufschlag oder der Geraden herunter treten, eventuell sogar abbiegen. Nimmt man dazu vorher mit der inneren Hand (am inneren Bein) eine leichte Stellung ein, spürt man schnell, welche Übungen auf der Geraden oder auf einer gebogenen Zirkellinie möglich sind. Spätestens jetzt erkenn man auch, wie wichtig die Reiterschulter ist, will man sein Pferd einhändig in der Kandare oder im Bit reiten. Am Bein stellen und mit dem Reitersitz, der Schulter, bewegen.
Und was ist am Boden?
Schon bei der vorbereitenden Arbeit am Boden in der klassischen Handarbeit, im Horsemanship oder an Longe, spielt die Reiterschulter und deren Position eine große Rolle. Auch untereinander kommunizieren und bewegen, verschieben sich Pferde über die Schulter. Dies kann man sich bei der Bodenarbeit im Prinzip wie unter dem Sattel zu Nutze machen und dem Pferd den Weg, bzw. Bewegungsrichtung, durch Öffnen und Schließen/Schieben der Schulter vorgeben. Auch ein Aufrichten oder hängen lassen der Schulterpartie lässt sich vom Boden aus so steuern.
Horizontal und vertikal
Reiterschulter nach innen – Pferdeschulter nach innen, wer nun denkt damit ist alles erledigt der hat weit gefehlt. Das Pferd spiegelt uns komplett, das bedeutet nicht nur nach rechts und nach links (horizontal), sondern auch nach oben und unten (vertikal). Lassen wir die Schultern hängen lässt unser Pferd dies auch. Das gleich gilt für abkippen, ob am Boden oder im Sattel. Im Sattel kommen dann aber noch Reitergewicht und damit Balance hinzu. Reiten wir einen Zirkel oder eine Volte linksherum und lassen unsere innere Schulter fallen, wird unser Pferd in einen Grad der Dysbalance kommen und ebenfalls die Schulter fallen lassen. Ergebnis ist dann meist ein Abkippen über die Schulter und ein Verschieben über die äußere Pferdeschulter. Da auch wir über eine Biomechanik verfügen und unsere Arme, bzw. Hände die Schulter stark beeinflussen, bedeutet eine tiefe Hand auch immer eine tiefe Schulter. Als kleine Hilfe kann man sich hier die „halbe Faust Regel“ die ich immer wieder im Unterricht einbaue zu Nutze machen. Ist die innere Hand nur eine halbe Faust höher als die äußere, hebt sich automatisch die innere Reiterschulter an und hilft dem Pferd dessen Schulter zu setzen.
Die Schulter im Alltag
Die Schulter ist ein sehr komplexer Baustein im Gesamtsystem der Biomechanik des Menschen, kaum ein anderes Gelenk ist so in alle Richtung rotierbar, kann Last aufnehmen und übertragen und beeinflusst den kompletten Oberkörper. Im Gegensatz zu anderen großen Gelenken wie dem Hüftgelenk wird die Schulter vorwiegend durch die Schultermuskulatur stabilisiert. Damit ist sie einerseits beweglicher als Gelenke, die durch Bänder stabilisiert werden, andererseits auch weniger stabil. Über den so genannten Schultergürtel sind die beiden Schultergelenke mit der Wirbelsäule sowie den Armen verbunden. Das macht die Schulter aber auch angreifbar für Beschwerden und Verspannungen, die ihren Ursprung im unserem Alltag und Berufsleben haben. Ein Beispiel hierfür sind Schulter und Nackenschmerzen von zu viel sitzender Tätigkeit am PC. Mit solchen festen und schmerzenden Schultern ist es dann nicht verwunderlich, dass das Pferd am Abend nach einem langen Bürotag ebenfalls klemmig ist. Gutes Aufwärmen, Schulterkreisen und andere Lockerungsübungen helfen da schnell, den Spaßfaktor am Reiten zu erhöhen, und zwar für Pferd und Reiter. Denn eins ist klar: Schulterherein gilt nicht nur für den Reiter.
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Das junge Pferd ist seit einigen Tagen in der Wasserstrense und hat sich im Laufe der Zeit immer besser daran gewöhnt.
In den nächsten Wochen steht immer mehr die Körperausrichtung auf dem Programm. Je besser man die einzelnen Körperteile des Pferdes kontrollieren kann, umso mehr Kontrolle bekommt man in der Reiterei.
Angefangen hatten wir ja mit der lateralen Kontrolle des Kopfes, um das Pferd besser stellen zu können. Aber wie schön erwähnt, können wir ein Pferd nur durch das Stellen nicht lenken, da sich Lenkung in der Schulter bzw. den Vorderbeinen abspielt und nicht im Hals oder Kopf. Deshalb müssen wir unsere Aufmerksamkeit der Kontrolle der Schulter widmen, um die Bewegungsrichtung besser kontrollieren zu können. Und auch hierfür hatten wir am Anfang der Serie Übungen vom Boden, um Kontrolle der Schulter zu erzielen. Da das Pferd bereits vom Boden in der Schulter gut weicht, wird es in der Regel vom Sattel aus nicht lange brauchen, um zu verstehen, was von ihm verlangt wird.
Leider Gottes erlebe ich immer wieder Pferde, die schon vom Boden keine Schulterkontrolle haben, jeden zur Seite schieben und sich mit diesem kräftigen Körperteil Raum verschaffen, um eigene Interessen zu entwickeln. Wenn ein Pferd dieses Verhaltensmuster täglich zeigt, wird es natürlich schwerer sein, Erfolg vom Sattel aus zu erzielen. Und jeder (Western)Reiter gerät ins Schwärmen, wenn er ein Pferd reiten kann, das leicht in der Schulter ist und sich auf engem Raum geschmeidig bewegen kann. Um auch eines Tages dieses Gefühl genießen zu können, ist es sehr hilfreich, schon im Basistraining an einer guten Schulterkontrolle zu arbeiten.
AM ANFANG IST WENIGER MEHR!
So ist es ja beim Beginn von allen Übungen und deshalb muss ich das auch immer wieder betonen. Dessen sollten wir uns immer bewusst sein, wenn wir neue Bewegungsabläufe lehren möchten. Wenn ich beginne, mehr und mehr bewusst die Schulter zu kontrollieren, fange ich gerne mit meiner „Stoppschildübung“ an.
Dabei versuche ich, eine Bahnfigur ähnlich eines Stoppschildes zu reiten. Also Geraden und an einer Ecke Abbiegen, um erneut ein Stück gerade zu reiten. Sinn dieser Übung ist es, bewusster und zielorientierter zu lenken. Wenn man das Lenken überwiegend auf Kreisen übt, neigen Pferde dazu, sich am äußeren Zügel auszuruhen, dagegen zu drücken und verstehen nicht wirklich, was wir gerne hätten. Deshalb halte ich es für sinnvoll, an einer bestimmten Stelle zu lenken und das Pferd bei entsprechender Reaktion zur Belohnung einige Schritte entspannt geradeaus laufen zu lassen, bevor eine neue Reaktion verlangt wird. Da es bei der Schulterkontrolle zu einem Übertreten der Vorderbeine kommt, tragen meine Pferde immer schützende Gamaschen. Wenn ein Pferd beschlagen ist, sollte man darauf auf keinen Fall verzichten, da Eisen nicht gegen das Röhrbein schlagen sollten.
Ob wir nun mit 6 oder 8 Ecken arbeiten, spielt keine große Rolle. Viel wichtiger sind die Hilfen hierfür und die entsprechende Reaktion des Pferdes.
ABBIEGEN UND NICHT BIEGEN…
…heißt es bei dieser Übung. Denn wir wollen den begrenzenden Zügel installieren und dem Pferd die Grundlage von Steuerung vermitteln. Und die Grundlage der Steuerung heißt für ein Westernpferd, sich immer zwischen den Zügeln zu bewegen. Deshalb nehmen wir nur minimal den inneren Zügel auf, um dem Pferd die Idee der Richtung zu geben.
Aber nun mal etwas genauer. Mit Pylonen baue ich mir mein Stoppschild auf dem Reitplatz auf, sodass ich etwa Geraden zwischen den Ecken von 6 bis 8 m bekomme. Gedanklich ziehe ich nun von Pylone zu Pylone eine Linie und starte im Hufschlag außerhalb dieser gedachten Linien. Als erstes gehe ich mit meinem Pferd z.B. rechte Hand. Auf dieser Linie sollte das Pferd zwischen den Zügeln bleiben und Kurs halten. Meine Hände sind parallel, ich sitze mittig und habe auf beiden Steigbügeln gleich viel Druck. Nun komme ich das erste Mal an eine Ecke und möchte ein Stück nach rechts abbiegen. Hierfür belaste ich dann den inneren (rechten) Steigbügel etwas mehr, führe den inneren Zügel nur minimal nach rechtes, lege den äußeren Zügel mit etwas Spannung (Damit das Pferd relativ gerade bleibt) an und übe noch Druck mit dem äußeren (linken) Schenkel, etwa eine Handbreit hinter dem Gurt aus.
Mein innerer Schenkel hängt passiv gerade runter. Auf keinen Fall nutze ich ihn aktiv, so wie ich das beim Reiten von Volten mache. Warum tue ich das hier nicht? Weil ich eben nur minimal abbiegen und nicht biegen möchte. Der innere Schenkel wäre bereit einzugreifen, wenn das Pferd über die innere Schulter in das Stoppschild kippen würde. Nur dann würde mein innerer Schenkel bewusst eingreifen. Das Pferd soll nun überwiegend seine Schulter um die Ecke bringen, mit dem inneren Bein nach rechts fußen und mit dem äußeren dann sogar eine wenig übertreten.
Auf keinen Fall soll es nur mit dem inneren Zügel um die Ecke gezogen werden! Bei meinen Schülern nutze ich hierbei gerne folgende Formulierung:
Den Kochtopf bitte auf die rechte Herdplatte heben und nicht umschütten!
Denn so ähnlich fühlt es sich tatsächlich an. Und sollte ich wirklich einen Mann im Unterricht haben, der nicht weiß, wie sich das Bewegen eines Kochtopfs anfühlt, spreche ich von der Wasserwaage, die er zur Seite bewegen soll, ohne dass sie schief gehalten wird. Und nun sind wir hier bei einem weit verbreitetem Streitpunkt.
„Mein Trainer sagt mir aber, dass ich die innere Hand immer höher nehmen soll“!
Das ist natürlich nicht falsch und damit verhindert man ein Nach-innen-fallen. Jedoch bin ich jemand, der Pferde gerne Fehler machen lässt, um sie zu korrigieren. Die höhere innere Hand ist eine Stütze und hilft vielen Pferden. Ich mache es von der Situation und dem jeweiligen Pferd abhängig. Denn später habe ich auch keinen inneren Zügel der ständig unterstützt. Deshalb bevorzuge ich die „Kochtopfzügelführung“ und unterstütze mit innerer Hand und innerem Schenkel, wenn die Situation es verlangt! Wenn man also die Stoppschildübung regelmäßig in sein Training einbaut, setzt man sehr gute Grundlagen der Lenkung. Aber auch hier haben wir eine Entwicklung in eine Minimalhilfengebung. Der Plan wäre:
• Zwischen zwei Zügeln gehen, wobei der innere Anfangs ein wenig hilft
• Abbiegen nur über die Akzeptanz des äußeren Zügels
• Abbiegen mit wenig Zügel und Unterstützung des Gewichts und Schenkels
Im Laufe von Tagen wird unsere Lenkung nun sicherer und uns gelingt es immer besser, die Schulter zwischen die Zügel zu bringen. Und sollte es in einer bestimmten Situation vorkommen, dass mein Pferd über die Schulter drängt, korrigiere ich es sofort über die Schulterkontrolle und über den äußeren Zügel nach innen.
Beispiel: Wir traben einen Linkszirkel. Bei X (Reitbahnmitte) drängt das Pferd über die Schulter nach rechts außen. Exakt in dem Moment hebe ich den „Kochtopf“ auf die linke Herdplatte und zwar so lange, bis das Pferd nach links abbiegt. Dann reite ich sofort eine Gerade durch meinen Zirkel um erneut wieder links in die Spur zu kommen. Das mache ich immer dann, wenn das Pferd nach außen drückt. Wer in dieser Situation nur am inneren Zügel zieht, dem wird es vielleicht gelingen, auf Kurs zu kommen. Aber eben nicht über die Akzeptanz des begrenzenden äußeren Zügels. Und wir wollen ja letztlich ein Pferd, das einhändig zu steuern ist. Das wiederum geht nur über das Verständnis des äußeren Zügels. Deshalb immer daran denken, dass Pferde ihre Schultern zwischen den Zügeln ausrichten sollten.
ENTWICKLUNG DER KONTERVOLTE
Wenn wir nun nach einigen Tagen sicher die Schulter zur Seite bewegen können und auch das Pferd sicher stellen können, können wir auch mit der klassischsten aller Western-Gymnastikübungen beginnen, und zwar mit der Kontervolte. Sie ist eine der Basisübungen im Westernreiten und es gibt verschiedene Begriffe dafür: Kontervolte, Volte in Außenstellung, indirekte Biegung und Counter Bend (amerikanischer Begriff).
Ich fange mit dieser Übung immer erst an:
• Wenn ich das Pferd sicher und leicht Stellen kann
• Wenn ich den Takt im Schritt halten kann
• Wenn ich die Schulter sicher weichen lassen kann (Stoppschildübung)
Erst dann versuche ich beide Körperteile (Kopf /Hals) gleichzeitig zu bewegen. Durch die Kontervolte kann ich die Schultern des Pferdes leichter bekommen, erziele ein Übertreten in der Vorhand und gymnastiziere das Pferd dadurch. Wie immer möchte ich, dass mein Pferd diese Übung lernt und sicher beherrscht, damit ich es in bestimmten Situationen auch abrufen kann. Denn immer wieder greife ich innerhalb der Ausbildung und in bestimmten Situationen auf diesen Bewegungsablauf zurück, um Schultern aufzurichten, die eventuell gerade in eine Volte oder Zirkel gefallen sind.
Ich fange damit gerne an der Bande an, da diese mir ein wenig dabei hilft. Ich reite eine Volte, die an der Bande beginnt. Und immer, wenn ich erneut an die Bande komme, nehme ich den äußeren Zügel etwas auf, bis das Pferd sich ein wenig nach außen stellt. Der innere Zügel führt das Pferd und zeigt mit leichtem Kontakt in Bewegungsrichtung. Der äußere Schenkel treibt knapp hinter dem Gurt und von diesem Schenkel soll das Pferd weichen. Unterstütz wird das Ganze durch eine leichte Gewichtsverlagerung in Bewegungsrichtung (Also nicht nach außen!). Zugegeben, es klingt etwas komplex und ja, wir wenden nun mehrere Hilfen gleichzeitig an. Aber genau aus diesem Grund brauche ich das Gefühl, dass mein Pferd jede einzelne Voraussetzung für diese Übung mitbringt. Ein Pferd, das sich nur mit Kraft stellen lässt, wird Probleme bereiten.
Ist die Vorarbeit gemacht, verstehen Pferde diese Übung recht schnell und wie immer genügen am Anfang 1 bis 2 Tritte an der Bande. Wenn wir spüren, dass unser Pferd versteht, können wir es in einer Ecke versuchen und werden 3 bis 4 Tritte erreichen. Von Tag zu Tag werden es mehr und die Kontervolte wird nach einigen Tagen auch eine ganze Volte sein. Wie immer, müssen wir unser Pferd fühlen. Beginnt es zu verstehen, bitte sofort den Druck weg nehmen und die Aufforderung beenden. Loben! Ganz am Anfang scheint es vielleicht etwas verunsichert, weil es doch seit Wochen immer mit der Schulter der Nase folgen sollte. Wer jedoch sein Gefühl schult und etwas systematisch trainiert, wird bald ein Pferd bekommen, das in dieser Übung sicher wird. Und wie gesagt, es ist später, wenn das Pferd die Übung gelernt hat, ein wichtiger Baustein innerhalb meiner Hilfen, wenn es um Körperausrichtung geht.
Denn: „Das Basistraining ist wie eine Art Werkzeugkiste für mich. Wann immer es irgendwo hakt oder der Wasserhahn tropft, kann ich zum entsprechenden Werkzeug greifen und reparieren. Deshalb sollten wir eine gut sortierte Werkzeugkiste haben!“
Und die Kontervolte ist eines dieser wichtigen Werkzeuge!
HÜFTKONTROLLE
Innerhalb der Pferdeausbildung glaube ich an das so genannte Fahrschulprinzip. Als wir Auto fahren lernten, fiel es uns in der anfänglichen Lernphase schwer, alles (Kupplung, Gas, Schalten) gleichzeitig zu tun. Heute, nachdem wie den Bewegungsablauf verinnerlicht haben, können wir nebenbei noch das Radio lauter machen, trinken und manche von uns sogar SMS schreiben. Aber erlernt haben wir es damals ganz langsam. Step by Step.
Und deshalb ist es mir wichtig, dass wir komplexere Bewegungsmuster erst in einzelne Etappen dem Pferd beibringen, um es später zusammen abzurufen. Die Kontovolte war ein Beispiel dafür. Und da wir bald auch das ganze Pferd in seiner Längsachse verschieben möchten, erarbeiten wir uns ebenfalls erst die einzelnen Bausteine hierfür. Und einer dieser weiteren Bausteine ist neben der bereits erlernten Schulterkontrolle die Hüftkontrolle. Schon vom Boden aus war die Kontrolle der Hüfte eine elementar wichtige Übung. Nun versuchen wir, es in den Sattel zu transferieren und sollten systematisch und für das Pferd leicht verständlich vorgehen.
Dabei beginne ich immer im Stehen. Ich stelle das Pferd mit dem direkten Zügel etwas nach links und nehme den linken Schenkel etwa 2 Handbreit hinter den Gurt. Dort beginne ich, mit etwas Körperspannung ein wenig zu treiben/klopfen.
Mein rechter Zügel ist locker aber etwas verwahrend und ich nehme ihn nur deutlicher an, wenn das Pferd eine Bewegung nach vorne machen möchte. Eigentlich gehe ich dem Pferd mit der Abstellung im Hals und dem treibenden Schenkel so lange „auf die Nerven“, bis es hinten einen Schritt weicht. Sofort höre ich mit der Aufforderung auf, lass das Pferd entspannen und lobe es. Es muss wie immer die Lösung der Aufgabe finden und nur einen Schritt tun. Jedoch sollte die weichende Bewegung nicht nach hinten gehen, da das innere Hinterbein sonst nicht unter den Körper tritt. Aber genau das soll es tun!
Dieser eine Schritt genügt mir, wird jedoch nach einer kurzen Pause sofort wiederholt! Fünf bis sechs Mal zur gleichen Seite und dann wechsle ich von links nach rechts.
Ich hatte in 25 Jahren noch nie ein Pferd, das diese Übung nicht verstanden hätte. Jedoch achte ich beim Lehren von neuen Dingen immer auf die mentale Zufriedenheit des Pferdes. Ist es entspannt, hört es mir zu und fühlt es sich wohl? Denn genau das sind die wichtigen Voraussetzungen für neues Lernen! Leider wird nicht selten darüber hinweg gesehen und man will etwas erzwingen. Immer wieder erlebe ich, dass Pferde mit einer Gerte in der Lernphase 180Grad herum gezwiebelt werden. Sie drücken den Rücken weg, reißen die Augen auf und erwarten „Prügel“. Das hat nichts mit Lehren zu tun. Ich möchte ein Pferd, das die Hilfen versteht und sie in mentaler Zufriedenheit ausführt.
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