Leseprobe HORSEMAN 06/2023
Das Bosal als Teil eines Ausbildungswegs
In der Form, wie wir heute die altkalifornische Reitweise kennen, ist das Bosal tatsächlich der erste Teil eines Ausbildungsweges, der zu einem sogenannten Bridle Horse führt. Diese erste Phase ist dabei aber sicher die wichtigste, denn sie legt die Basis für ein Pferd in der Kandarenreife, sprich ein Pferd, das sich einhändig in der Kandare bzw. in einem Spadebit reiten lässt. In dieser ersten Phase lernt das Pferd, sich in der Vertikalen wie Horizontalen, also lateral, zu stellen und zu biegen, lernt auf feine Körper- und Beinhilfen zu reagieren, ohne die ein späteres einhändiges Reiten, also „straight up in the bridle“, überhaupt nicht möglich wäre. In meinen Augen sollte das Pferd bereits im Bosal 90 % der Kandarenreife erlangen.
Der nächste Feinschliff zum Bridle Horse kommt in Phase 2, der sogenannten Two Rein. Hier lernt das Pferd zunächst, nur das Spadebit zu tragen. Geritten und vor allem korrigiert wird über das Bosal bzw. den dünneren Bosalito. Nach einer gewissen Eingewöhnungszeit, die das Pferd vorgibt, kommt nun auch vermehrt das Bit zum Einsatz. Korrigiert wird aber nach wie vor über das Bosalito, um das Pferdemaul fein zu halten. Hat man sich nun die letzten Prozente der Kandarenreife erarbeitet, hat man ein Pferd, das wie bereits erwähnt „straight up in the bridle“ steht. Ein hoher Grad an Versammlung und Aufrichtung ist dann mit feiner Hand möglich, und zwar einhändig.
Vergleichen wir das mit der Reiterei in Europa, verhält es sich ähnlich der Arbeit in der Wassertrense, dann in der Kombination Trense und Kandare, besser bekannt als Kandare mit Unterlegtrense, um daraus ein Reiten auf blanker Kandare zu erlangen. Auch wenn dieser Ausbildungsweg heute leider meist nicht mehr zu Ende geritten wird und man bei Kandare mit Unterlegtrense stehen bleibt, war es eigentlich auch hier Sinn und Zweck, ein einhändig zu führendes Kandarenpferd zu erlangen. Daher auch die, bis in 1950er bei der FN vorgeschriebene Drei-Einser-Zügelführung. Hier wurden beide Kandarenzügel in der linken Hand geführt, die Trensenzügel jeweils einer links und einer rechts.
Die Arbeit in der Two Rein oder eben mit der Kandare-Unterlegtrense um dann einhändig (straight up in the bridle) zu reiten ist sicher nicht für jeden Reiter geeignet. Hierzu braucht es Erfahrung und das richtige Gefühl, genauso wie das nötige Timing in der Führung einer Kandare – also auch eine Kandarenreife des Reiters.
Doch wäre nun im Umkehrschluss auch die erste Phase, das Reiten im Bosal, nur etwas für Profis, dürfte kein Reitanfänger oder Nichtprofi ein Pferd in der Wassertrense reiten! Ich würde behaupten, dass bereits hier der Mythos zu wackeln beginnt.
Nun stellt sich auch die Frage, ob man zwingend diesen kompletten Ausbildungsweg beschreiten muss? Die Antwort ist sehr einfach: Nein, muss man nicht! Selbst auf den Ranches im Westen der USA, auch in Kalifornien, werden nicht alle Pferde zwingend in diesem kompletten Weg ausgebildet. Und auch wenn es wenig geschriebene Überlieferungen aus der Zeit der echten Californios gibt, behaupte ich einfach mal, dass nicht jeder Indio, der zum Vaquero gemacht wurde, die feine Hand für ein Bridle Horse hatte. Das bestätigt auch Jeff Sanders, als der wohl der bekannteste „echte Californio“.
Kann man wirklich etwas falsch machen?
Sicher, man kann beim Training in der Hackamore sehr viel falsch machen und Schaden anrichten. Gutes Reiten im Bosal ist Reiten mit viel Gefühl, Timing und vor allem sehr körperbetont. Sprich Sitz, Beine, Hüfte und Schultern bestimmen die Führung des Pferdes. Aber stop! Ist das bei gutem und feinem Reiten in der Trense nicht ebenso? Und auch hier oder gerade hier kann man genauso viel falsch machen und mit dem Gebiss im Maul sogar sehr großen Schaden anrichten. Abgesehen von der falschen oder schlechten Ausbildung des Pferdes, kann in der Trense dieser Schaden vor allem auch körperlich sehr groß sein, denn man arbeitet hier mit dem empfindlichen Maul, der Zunge und dem Zungenbein. Selbst Anfänger sind in der Lage, über vermehrten Zug und damit Druck auf diese ein Pferd durch Zwang in gewünschte Positionen zu reiten. In der Hackamore liegt der Schaden in ersten Linie in der Ausbildung und weniger körperlich. Der Schaden in diesem Bereich ist dann vor allem muskulär zu finden, da das Pferd einfach nicht richtig gymnastiziert wird.
Etwas falsch machen kann man in jeder Zäumung – egal, ob Bosal, Trense, Sidepull oder was auch immer. Also auch hier bröckelt es wieder, wenn es um den Mythos „Bosal nur für Profis“ geht.
Ein Bosal verzeiht keine Reiterfehler
Oft zu hören und absolut wahr. Falsch sitzen und trotzdem in die gewünschte Richtung abbiegen, wird mit einem Gebiss irgendwie zu machen sein, da der Druck – eventuell sogar Schmerz – im Maul über die Balance siegt. Ganz anders im Bosal: Sitzt Du falsch, wird es Dir Dein Pferd sofort zeigen. Ist Dein Timing schlecht, wird es Dir Dein Pferd sofort zeigen, denn ein Bosal verzeiht keine Reiterfehler. Aber was bedeutet das wieder im Umkehrschluss? Ich habe bereits viele hundert Reitschüler jeden Alters und auf jedem Niveau unterrichtet und ausgebildet, darunter viele Anfänger im Bosal. Das hat wunderbar funktioniert, da sie noch keine „falsche Motorik“ verinnerlicht hatten und von Begin an auf feines und körperbewusstes Reiten eingestellt wurden. Vielen Anfängern fällt das Reiten im Bosal sogar leichter als Reitern, die Jahre lang im Gebiss geritten sind, und das leider auch oft falsch. Spätestens jetzt zerbröselt der Mythos in kleine Einzelteile. Das Bosal formt den besseren Reiter, schult Sitz, Balance, Gefühl und Timing.
Welche Pferde eigenen sich?
Ganz salopp gesagt, ist ein Pferd ein Pferd und gutes Reiten bleibt gutes Reiten – egal, in welcher Reitweise. Da – wie HORSEMAN Leser aus vielen Beiträgen wissen – das Bosal vertikal wie horizontal, also für die laterale Biegung funktioniert, lassen sich alle Lektionen und Manöver mit dem Bosal trainieren und ausführen. Dazu gehören Lektionen aus der klassischen Reiterei wie Schulterherein, Traversalen oder gar einer Levade oder ein Schulhalt ebenso wie Spins und Stops aus dem Westernreiten. Vielleicht liegt das auch ganz einfach daran, dass die altkalifornische Reitweise von der klassischen Reiterei der Spanier geprägt wurde und diese wiederum die Grundlage für unser heutiges Westernreiten ist.
Im Prinzip lassen sich also alle Pferde im Bosal trainieren, und das hat meine Erfahrung in der Hackamore in fast 30 Jahren auch gezeigt. Es gab sehr wenige Pferde, die damit nicht zu recht kamen. Ein Beispiel ist ein Friese, der sehr fein am Gebiss stand und die Anlehnung daran wirklich suchte und brauchte. Er war in der Halsung seht steil nach gerichtet und gab kaum die Möglichkeit gut am Bosal einzuwirken. Hier riet ich er Besitzerin, lieber gut und fein im Gebiss zu reiten als schlecht gebisslos. Ein anderes Pferd war ein PRE Hengst, direkt aus Spanien. Seine Nase zeigte mit vielen Narben, welchen harten Weg durch die Sereta (ein spanischer Kappzaum) er gegangen war. Jeder Druck über der Nase war für ihn eine körperliche wie mentale Qual. Auch hier wäre ein Bosal nicht die richtige Zäumung gewesen.
Fazit:
Keine Zäumung gehört ohne einen erfahrenen Trainer in die Hand eines Anfängers und kein Pferd sollte weder in der Trense noch im Bosal ohne Hilfe von jemandem, der es kann, ausgebildet werden. Mit der richtigen Hilfe, also einem erfahrenen Hackamore Trainer, an seiner Seite wird jeder diese tolle Zäumung nicht nur zu bedienen, sondern auch lieben lernen. Es wird, wie bei allem in der Reiterei, ein langer Weg werden, denn man lernt nie aus. Schließlich endet das Lernen erst mit dem letzten Ritt – und da ist es egal, ob Bosal oder Gebiss.
Tom Büchel
Ride with your heart
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Das Skelett des Pferdes
In den letzten Ausgaben des HORSEMAN haben wir Euch bereits die Biotensigrität vorgestellt. Ein komplexes System, das aber nicht ohne das Skelett, also die Knochen des Pferdes auskommt. In dieser Ausgabe möchte Euch Thies zeigen, welche Rolle das knöcherne Gerüst in diesem System spielt und ob es spezielle Trainingsansätze gibt.
Ein tensegrales System benötigt immer Druckstäbe. Im Falle des Pferdes sind dies natürlich die Knochen. Oft wird der Eindruck erweckt, ein tensegrales System könne sich ohne Schaden beliebig verwinden. Dies ist nicht der Fall. Jedes Gelenk hat durch seine Ausformung eine bestimmte Richtung, in der es sich bewegen kann. Eine korrekte tensegrale Aufspannung ist vorhanden, wenn sich jedes Gelenk innerhalb des Systems in seinen physiologischen Grenzen bewegt, ohne das sich die Knochen dabei direkt berühren (siehe Vorartikel)
Dauerhafte Fehlspannungen in den myofaszialen Zugketten schädigen somit die Gelenke.
Die Wirbelsäule in dreidimensionaler Betrachtung:
Die Wirbelsäule bewegt sich immer dreidimensional im Raum- sie ist in Bewegung niemals gerade. Bei einer Seitbiegung nach links rotieren die Dornfortsätze (siehe die oberen „Zacken“ im Bild) immer nach rechts oder links. Dies hängt davon ab, ob die Wirbelsäule eher in Kyphose (Beugung nach oben) oder Lordose (Beugung nach unten – siehe Bild) befindet.
Schon die alten Meister wussten, dass der Reiter in der Seitbiegung nach innen gesetzt wird und der Mähnenkamm nach innen kippt, sofern sich die Wirbelsäule in der Neutralstellung befindet. Fast jedes Gelenk in der Wirbelsäule unterscheidet sich vom Nachbargelenk. Die Gelenksflächen geben somit den Bewegungsgrad vor, in welchem das tensegrale System physiologisch veränderbar ist. Die unterschiedlichen Gelenkflächen sind auch der Grund, warum sich Pferd, Hund und Katze unterschiedlich bewegen, auch wenn man immer mal wieder hört, dass das sich alle tensegralen Systeme gleich bewegen könnten. Das ist schlicht eine falsche Aussage.
Die skelettale Bewegung als Indikator:
Die Bewegung des Skeletts ist ein sehr guter Indikator, ob das tensegrale System physiologisch aufgespannt ist. Dies gilt nicht nur für die Wirbelsäule, sondern auch für das Becken (es führt eine liegende 8er Bewegung aus) und alle übrigen Gelenke. Gut sichtbar ist bei vielen Pferden das pathologische Drehen der Sprunggelenke nach außen in der Stemmphase.
Fazit:
In der gesamten tensegralen Betrachtung werden die Knochen und die vorgegebenen Bewegungsmöglichkeiten durch die Gelenksflächen gerne außer Acht gelassen. Dies ist ein großer Fehler. Die Bewegung der Gelenke sollten als Zeichen der korrekten Zugspannung im System betrachtet werden.
tensegrales Training: Gibt es so etwas überhaupt?
Erinnern wir uns: „Biotensegrity“ ist kein Begriff, für den es eine verbindliche Definition gibt. Es beschreibt die Art und Weise, in der lebende Körper an Land organisiert sind, um mit der Schwerkraft ökonomisch umgehen zu können.
Warum Logik nicht hilft:
Vor diesem Hintergrund kann man zu Recht behaupten, dass es kein tensegrales Training geben kann. Dies ist genauso absurd wie die Aussage: ich heute übe, ein Mensch zu sein….ich bin ein Mensch Selbst wenn ich üben würde, ein Tier zu sein, bleibe ich trotz allen Bemühens ein Mensch. Korrekt hingegen ist die Aussage, dass man das tensegrale System durch Training positiv beeinflussen möchte.
Mit der gleichen Argumentation lässt sich sagen, dass ALLES ein tensegrales Training ist, da man eben immer ein tensegrales System trainiert. So kommen wir also nicht weiter.
Ein Versuch der Definition:
Als Minimalkonsens ist es möglich die Aussage zu treffen, dass es immer das Bestreben sein muss, das tensegrale System in Funktion zu bringen und das System dann zu optimieren. Alle Ansätze, welche veraltete Erklärungsmodelle als Grundlage haben, sind sehr kritisch zu hinterfragen. Dazu gehört zum Beispiel der Versuch, die Vorhand über eine Art Hebel zu entlasten, indem das Pferd weit untertritt und die Vorhand so anhebt. Genauso steht auch die Idee, das Pferd zwischen Schenkel und Hand zusammenzuschieben im Widerspruch zum biotensegralen Training.
funktionales Bewegungstraining
Wie im Vorartikel beschrieben, sorgt die korrekte Spannung innerhalb der myofaszialen Strukturen dafür, dass sich die Gelenke innerhalb ihrer physiologischen Grenzen bewegen. Die tensegralen Regulation vermindert die Asymmetrien im Körper. Dieser Aspekt ist also keineswegs neu- Es ist das Ziel einer jeder Reitweise, welche man seit Jahrhunderten verfolgt. Das Wissen ums die Biotensegrität kann jedoch helfen, diese Entwicklung smart zu gestalten und Irrwege eher zu erkennen.
Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es viele Ansätze. Neben dem klassischen Ansatz der Dressur im ursprünglichen Sinne wird auch gerne mit extremen Haltungen des Pferdes gearbeitet. Ob dies sinnvoll ist und welche Gefahren dies mit sich bringt, wird in einem anderen Artikel näher beleuchtet.
Tensegrales Training in Reinform:
In strengster Betrachtungsweise orientiert sich ein tensegrales Training an den besprochenen Grundlagen. Dazu gehört immer eine gewisse Dynamik und die Schwungentwicklung aus dem Abdruck vom Boden. Der Flummi benötigt den Boden. Die Energie soll gespeichert und wieder abgegeben werden. Dadurch spannt sich das System immer weiter auf und kann die Energie besser durchlaufen lassen.
Dieses Konzept funktioniert weder schwunglos noch auf kleinen Volten mit starken seitlichen Biegungen und „sog.“ Drifts über die Schulter. Ständige Seitengänge und seitliche Verschiebungen sind langfristig kontraproduktiv für die Entfaltung des tensegralen Systems.
Allerdings muss beachtet werden, dass dieses Aufspannen nur funktioniert, wenn das tensegrale System dies zumindest teilweise leisten kann. Außer Funktion hingegen können entsprechende Bewegungen sogar belastend für den Körper sein. Ebenso ist die Entwicklung einer Haltungs- und Bewegungsvarianz wichtiger Faktor für die Entwicklung der Biotensegrität.
Mein Fazit zum tensegralen Training:
Die tensegrale Regulation als auch das Aufspannen des Systems gehören zusammen. Das funktionale Bewegungstraining bringt das biotensegrale System in Funktion. Das eigentliche tensegrale Training hingegen arbeitet bewusst mit den tensegralen Funktionsweisen und bringt dem Pferd bei, immer besser mit dem Körpersystem zu arbeiten. In unserem Konzept des arthron bodywork lernt Ihr die Aspekte kennen, die uns wichtig in Bezug zum biotensegralen System wichtig sind sind.
Die Problematik für den Pferdebesitzer:
Für den Pferdebesitzer gibt es ein klares Problem: Bucht man einen Kurs zum Thema tensegralen Training weiß man nie genau, was einen erwartet. Dies ist einer der Gründe dieser Artikelserie. Sie soll euch helfen, ein besseres Grundverständnis zu bekommen und zu wissen, welche (Teil-) Aspekte ein solches Training bedienen sollte.
Man kommt nicht daran vorbei, sich im Vorwege zu informieren, sei es auf der HP (in der Hoffnung, dass es dort auch offengelegt wird), im Gespräch mit dem Kursleiter oder aber als Zuschauer. Allerdings sollte man auch dort nicht nur darauf hören, was gesagt wird, sondern sich überlegen, welche Fähigkeiten das Pferd entwickeln soll. Für uns gehören die tensegrale Regulation, das Aufspannen des Systems und die Entwicklung der Haltungs- und Bewegungsvarianz in ein Gesamtkonzept.
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