Leseprobe HORSEMAN 09/2022
Aus Schreckgespenstern Freunde machen
Gelassenheitstraining: Plane, Flatterband und Co.
Ein Beitrag von Rolf Schönswetter
In ihrer gewohnten Umgebung, gute Haltungsbedingungen vorausgesetzt, fühlen sich Pferde wohl. Sie kennen in ihrem Areal jeden Winkel, ja fast jeden Stein und haben sich im Laufe der Zeit an immer wiederkehrende Einflüsse von außen gewöhnt. Der Traktor mit dem weit aufgerissenen Maul, der Einstreu in den Stall spuckt oder mit spitz zupackenden Zähnen Heuballen in die Futterraufe wirft, ist ebenso Freund geworden, wie die rotweiß gestreifte Schlange, aus deren Maul fauchend Wasser spritzt. Ließ das Beutetier Pferd beim ersten Kontakt mit den vermeintlichen Schreckgespenstern noch seinem Fluchtinstinkt freien Lauf, hat das Gewohnheitstier in ihm gelernt, dass Traktor, Wasserschlauch und Co. ihm nicht ans Leder wollen. Aus Angst wurde Neugierde, aus Neugierde Gewohnheit. Holt man die Vierbeiner aber aus der gewohnten Umgebung in die für sie laute und bedrohliche Welt, sind Ängsten schnell wieder Tür und Tor geöffnet. Das muss nicht so sein: Gelassenheitstrainings sind der Schlüssel, mit dem aus ängstlichen Kontrahenten mutige Pferd-Mensch-Paarungen erwachsen können.
Mal ehrlich, welchem Anführer würde man sich eher anschließen? Dem mutigen, der keine Gefahr scheut und jeder Bedrohung bedenkenlos entgegentritt, oder dem übervorsichtigen, der hinter jeder Ecke Gefahr wittert und ständig den Teufel an die Wand malt? Nun, wer langfristig überleben will, sollte auf keinen der beiden Charaktere setzen. Denn wie sagt der Volksmund so schön: „Helden sterben früh und Angst ist ein schlechter Ratgeber!“ Die Mischung macht’s: Ein mutiger Anführer, der bedacht und umsichtig agiert, vorausschauend Situationen einschätzt und daraus die richtigen Schlüsse für sein Handeln zieht – dabei gleichermaßen Ruhe und Sicherheit ausstrahlt.
Genau so jemanden brauchen Pferde an ihrer Seite, wenn man sich mit ihnen auf fremdes Terrain begibt – jenseits der gewohnten Umgebung, weit weg vom sicheren Stall. Auf sich alleine gestellt, muss sich dann die kleine, aus Pferd und Mensch bestehende Zweierherde bewähren, wenn Herausforderungen wie flatternde Fahnen an klirrenden Masten, im Wind sirrende Absperrbänder oder grell leuchtende Siloballen am Wegesrand zu bewältigen sind. Wohl dem, der vorab seinem Pferd Planen, Fahnen und Co. in angenehmer Trainingsumgebung zum Freund gemacht hat.
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Gut gestellt ist halb gebogen
Stellung
Da bei einer korrekten Stellung (oft auch als Abstellung im Genick bezeichnet) nur das Genick betroffen ist, reicht es, wenn man dabei, wie es so schön heißt, das „innere Auge schimmern“ sieht. Der Reiter schaut also auf den inneren Augenrand und den Rand der inneren Nüster. In den FN-Richtlinien steht dies so: „Stellung heißt, dass das Pferd seinen Kopf im Gelenk zwischen Kopf und Hals, dem Genick, seitlich wendet und das Genick in der Ganasche seitlich biegt.“ Dies ist möglich, da dieser Bereich aus zwei Teilen besteht: dem Hinterhauptsbein (lat.: Occiput) und dem ersten Halswirbel (bekannt als Atlas). Das Genick als Ellipsengelenk lässt also eine Bewegung vertikal wie horizontal zu. Ähnlich wie der Mensch, ist das Pferd dadurch in der Lage, seinen Kopf nach oben und unten sowie von rechts nach links zu bewegen.
Was tut sich dabei im Pferd? Bei einer Stellung nach links wird sich der Unterkiefer des Pferdes leicht nach rechts (also nach außen) unter den Atlas verschieben. In dieser Position ist es wichtig, dass gerade dieser Bereich des Kiefers locker bleibt und somit dazu beiträgt, dass sich das Pferd im Genick öffnen kann und sich muskulär nicht verspannt. Schon jetzt wird jedem klar, warum Sperrhalfter und enge Nasenriemen genauso wie falsch eingesetzte Gebisse hier absolut kontraproduktiv sind. Hat ein Pferd nicht wirklich gelernt und verstanden, sich am Bein und mit einer leichten Handeinwirkung zu stellen, wird es in einer Kandarenzäumung oder einem ähnlichen Gebiss mit Anzügen (z.B. Snaffle with Shanks, Correction Bit) das Genick eher verwerfen (Rotation – optisch leicht zu sehen: ein Ohr höher als das andere), statt sich sauber zu stellen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist dabei auch die Hyperflexion, eine Beugung hinter der Senkrechten. In dieser Kopfposition ist das Genick ebenfalls für eine seitliche Stellung blockiert…
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